1. ABSCHNITT
Staatliches Archivgut
§ 1
Organisation der staatlichen Archivverwaltung
(1) Die Archivverwaltung gliedert sich
in die Landesarchivdirektion Baden-Württemberg und in die Staatsarchive.
(2) Die Landesarchivdirektion Baden-Württemberg ist Landesoberbehörde mit dem Sitz in
Stuttgart. Top
§ 2
Zuständigkeit und Aufgaben
(1) Die Landesarchivdirektion ist
zuständig für Grundsatzfragen des Archivwesens einschließlich der Landes- und
Kreisbeschreibung und der Ausbildung für den Archivdienst.
(2) Die Staatsarchive erfüllen alle anderen Aufgaben der Archivverwaltung. Insbesondere
verwahren, erhalten und erschließen sie als Archivgut alle Unterlagen, die von den
Behörden, Gerichten und sonstigen Stellen des Landes, deren Funktionsvorgängern oder von
Rechtsvorgängern des Landes übernommen worden sind und die bleibenden Wert haben; sie
machen das Archivgut allgemein nutzbar. Die Staatsarchive erfassen die Unterlagen bei den
Behörden, Gerichten und sonstigen Stellen des Landes und können diese bei der Verwaltung
von Schriftgut und anderen Unterlagen beraten.
(3) Unterlagen im Sinne von Absatz 2 sind insbesondere Schriftstücke, Akten, Karteien,
Karten, Pläne, Bild-, Film- und Tonmaterialien sowie sonstige Informationsträger und
maschinenlesbar auf diesen gespeicherte Informationen und Programme. Bleibenden Wert haben
Unterlagen, denen historischer Wert zukommt oder die auf Grund von Rechtsvorschriften oder
von Verwaltungsvorschriften der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde zur Sicherung
berechtigter Belange der Bürger oder zur Bereitstellung von Informationen für
Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtspflege dauernd aufzubewahren sind. Der bleibende Wert
von Unterlagen, die nicht aufgrund von Rechtsvorschriften oder von Verwaltungsvorschriften
der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde dauernd aufzubewahren sind, wird durch
die Archivare festgestellt.
(4) Die Staatsarchive können auch Archivgut anderer Stellen und Privater mit deren
Einvernehmen erfassen, verwahren, erhalten, erschließen und allgemein nutzbar machen
sowie andere Stellen und Private bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben unterstützen, soweit
daran ein öffentliches Interesse besteht.
(5) Die Landesregierung kann der Landesarchivdirektion und den Staatsarchiven durch
Rechtsverordnung weitere Aufgaben übertragen, die mit dem Archivwesen zusammenhängen;
sie kann insbesondere bestimmen, daß die Staatsarchive im Auftrag der in Absatz 2
genannten Stellen von diesen noch nicht gemäß § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 anzubietende
Unterlagen verwahren.
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§ 3
Übernahme des Archivguts
(1) Die Behörden, Gerichte und
sonstigen Stellen des Landes bieten alle Unterlagen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben
nicht mehr benötigen, dem Staatsarchiv an. Unabhängig davon sind alle Unterlagen jedoch
spätestens 30 Jahre nach ihrer Entstehung dem Staatsarchiv anzubieten, sofern durch
Rechtsvorschriften oder durch Verwaltungsvorschriften der obersten Landesbehörden nicht
längere Aufbewahrungsfristen vorgesehen sind. Anzubieten sind auch Unterlagen, die durch
Rechtsvorschriften über Geheimhaltung geschützt sind, wenn die abgebende Stelle im
Benehmen mit dem Staatsarchiv festgestellt hat, daß schutzwürdige Belange des
Betroffenen durch geeignete Maßnahmen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls
angemessen berücksichtigt werden. Die erforderlichen Maßnahmen müssen bereits vor der
Übergabe durchgeführt oder festgelegt werden. Unterlagen, die durch § 203 Abs. 1 Nr. 4
und 4 a des Strafgesetzbuches geschützt sind, dürfen nur in anonymisierter Form
übergeben werden. (Satz 6 aufgehoben)1.
(2) Das Staatsarchiv entscheidet im Benehmen mit der anbietenden Stelle über die
Übernahme von Unterlagen, denen historischer Wert zukommt. Auswahl und Form der
Übernahme maschinenlesbar gespeicherter Informationen und Programme vereinbart das
Staatsarchiv mit der anbietenden Stelle. Wenn das Staatsarchiv die Übernahme ablehnt oder
nicht innerhalb eines Jahres über die Übernahme entschieden hat, sind die Unterlagen zu
vernichten, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, daß durch die Vernichtung
schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt werden. Vorher dürfen Unterlagen
nur mit Zustimmung des Staatsarchivs vernichtet werden.
(3) In Ausnahmefällen können im Einvernehmen mit der Landesarchivdirektion Unterlagen
einem anderen Archiv übergeben werden, solange die Einhaltung der in den §§ 4 und 6
getroffenen Bestimmungen gewährleistet ist und die archivfachlichen Ansprüche hierfür
insbesondere in personeller, baulicher und einrichtungsmäßiger Hinsicht erfüllt sind.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 sollen die Landratsämter als untere
Verwaltungsbehörden Unterlagen dem Archiv des Landkreises anbieten und übergeben.
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§ 4
Sicherung des Archivguts
Das Archivgut ist durch die
erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen vor unbefugter Nutzung, vor
Beschädigung oder Vernichtung zu schützen. Die Verknüpfung personenbezogener Daten ist
innerhalb der in § 6 genannten Sperrfristen nur zulässig, wenn die schutzwürdigen
Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigt sind. Unterlagen, denen kein bleibender
Wert zukommt, sind zu vernichten.
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§ 5
Recht auf Auskunft und Gegendarstellung
(1) Das Auskunftsrecht gemäß § 12 des
Landesdatenschutzgesetzes bleibt unberührt. § 12 Landesdatenschutzgesetz gilt
entsprechend für personenbezogene Daten, die nicht in Dateien gespeichert sind, soweit
sie mit vertretbarem Aufwand zu ermitteln sind; statt einer Auskunft kann Einsicht in das
Archivgut gewährt werden.
(2) Wer die Richtigkeit von Angaben zu seiner Person bestreitet, kann verlangen, daß dem
Archivgut seine Gegendarstellung beigefügt wird, wenn er ein berechtigtes Interesse daran
glaubhaft macht. Nach seinem Tod steht dieses Recht dem Ehegatten, den Kindern oder den
Eltern zu.
(3) Rechtsansprüche auf Berichtigung personenbezogener Angaben bleiben unberührt,
richten sich jedoch gegen die Stelle, bei der die Unterlagen entstanden sind.
Löschungsansprüche gemäß § 13 Abs. 3 des Landesdatenschutzgesetzes sind nach
Übergabe der Unterlagen an das Staatsarchiv ausgeschlossen.
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§ 6
Nutzung des Archivguts
(1) Jedermann, der ein berechtigtes
Interesse glaubhaft macht, hat nach Maßgabe der Benutzungsordnung das Recht, das
Archivgut nach Ablauf der Sperrfristen zu nutzen, soweit sich aus Rechtsvorschriften oder
Vereinbarungen mit derzeitigen oder früheren Eigentümern des Archivguts nichts anderes
ergibt.
(2) Archivgut darf nicht vor Ablauf von 30 Jahren seit Entstehung der Unterlagen genutzt
werden. Unterlag Archivgut Rechtsvorschriften über Geheimhaltung, darf es frühestens 60
Jahre nach Entstehung der Unterlagen genutzt werden. Bezieht es sich nach seiner
Zweckbestimmung auf eine natürliche Person, so darf es frühestens 10 Jahre nach deren
Tod genutzt werden; kann der Todestag nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand
festgestellt werden, endet die Sperrfrist 90 Jahre nach der Geburt.
(3) Die Sperrfristen nach Absatz 2 gelten nicht für solche Unterlagen, die schon bei
ihrer Entstehung zur Veröffentlichung bestimmt oder der Öffentlichkeit zugänglich
waren.
(4) Die Landesarchivdirektion kann Sperrfristen um höchstens 20 Jahre verlängern, wenn
dies im öffentlichen Interesse liegt oder wenn schutzwürdige Belange des Betroffenen
dies erfordern. Die Landesarchivdirektion kann Sperrfristen verkürzen, wenn
schutzwürdige Belange des Betroffenen nicht entgegenstehen. Eine Verkürzung der
Sperrfrist nach Absatz 2 Satz 3 ist nur zulässig, wenn die Person, auf die sich das
Archivgut bezieht, oder im Falle ihres Todes ihr Ehegatte, ihre Kinder oder ihre Eltern
eingewilligt haben oder wenn die Nutzung zu wissenschaftlichen Zwecken oder zur
Wahrnehmung berechtigter Belange, die im überwiegenden Interesse einer anderen Person
oder Stelle liegen, unerläßlich ist und durch Anonymisierung oder durch andere
Maßnahmen die schutzwürdigen Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden.
Bei einer Nutzung zu wissenschaftlichen Zwecken kann von einer Anonymisierung abgesehen
werden, wenn das wissenschaftliche Interesse an der Offenbarung wegen der Bedeutung des
Forschungsvorhabens die schutzwürdigen Belange des Betroffenen erheblich überwiegt und
das Forschungsvorhaben sonst nicht durchgeführt werden könnte.
(5) Für die Nutzung von Archivgut durch Behörden, Gerichte und sonstige Stellen des
Landes, bei denen es entstanden ist oder die es abgegeben haben, gelten die Sperrfristen
der Absätze 2 und 4 nicht, es sei denn, daß das Archivgut durch diese Stellen auf Grund
von Rechtsvorschriften hätte gesperrt oder vernichtet werden müssen. § 13 Abs. 2 Satz 3
Halbsatz 2 des Landesdatenschutzgesetzes bleibt unberührt.
(6) Die Nutzung ist einzuschränken oder zu versagen, soweit
- Grund zu der Annahme besteht, daß das Wohl der
Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde, oder
- Grund zu der Annahme besteht, daß schutzwürdige
Belange Dritter entgegenstehen, oder
- der Erhaltungszustand des Archivguts gefährdet
würde oder
- ein nicht vertretbarer Verwaltungsaufwand entstehen
würde oder
- Vereinbarungen mit derzeitigen oder früheren
Eigentümern entgegenstehen.
Die Nutzung kann aus anderen wichtigen Gründen
eingeschränkt oder versagt werden. Die Entscheidung über die Einschränkung oder
Versagung der Nutzung trifft das Staatsarchiv. Das Nähere über die Nutzung des
Archivguts, insbesondere über das Antrags- und Genehmigungsverfahren, über die
Sorgfaltspflichten bei der Nutzung, über die Versendung von Archivgut, über die
Ablieferung von Belegexemplaren und über die Herstellung von Kopien und Reproduktionen,
regelt die Landesregierung durch Rechtsverordnung (Benutzungsordnung).
(7) Der Nutzer ist verpflichtet, von einem Druckwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 des
Pflichtexemplargesetzes, das er unter wesentlicher Verwendung von Archivgut der
Staatsarchive verfaßt oder erstellt hat, nach Erscheinen des Druckwerkes der
Archivverwaltung unaufgefordert ein Belegexemplar unentgeltlich abzuliefern. Ist dem
Nutzer die unentgeltliche Ablieferung eines Belegexemplars insbesondere wegen der
niedrigen Auflage oder der hohen Kosten des Druckwerkes nicht zumutbar, kann er der
Archivverwaltung entweder ein Exemplar des Druckwerkes zur Herstellung einer
Vervielfältigung für einen angemessenen Zeitraum überlassen oder eine Entschädigung
bis zur Höhe des halben Ladenpreises verlangen. Wenn ein Ladenpreis nicht besteht, kann
der Nutzer eine Entschädigung bis zur Höhe der halben Herstellungskosten des
Belegexemplars verlangen. Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Veröffentlichungen des
Nutzers in Sammelwerken oder Zeitschriften sowie für Schriftwerke, die nicht
veröffentlicht sind. Ohne Zustimmung des Nutzers dürfen nicht veröffentlichte
Schriftwerke von der Archivverwaltung nur zur Erschließung von Archivgut verwendet
werden; anderen Personen darf keine Einsicht in nichtveröffentlichte Schriftwerke
gewährt werden. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn das Urheberrecht erloschen ist.
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§ 6 a
Unterlagen von Stellen des Bundes, bundesrechtliche Geheimhaltungsvorschriften
(1) Für Archivgut, das gemäß § 2
Abs. 3 Satz 1 des Bundesarchivgesetzes von Stellen des Bundes dem Staatsarchiv übergeben
worden ist, gelten § 2 Abs. 4 Satz 2 sowie §§ 4 und 5 Abs. 1 bis 7 und 9 des
Bundesarchivgesetzes entsprechend.
(2) Für Archivgut, das Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung im Sinne der
§§ 10 oder 11 des Bundesarchivgesetzes unterliegt und das von anderen als den in § 2
Abs. 1 des Bundesarchivgesetzes genannten Stellen öffentlichen Archiven übergeben worden
ist, gelten § 2 Abs. 4 Satz 2 und § 5 Abs. 1 bis 7 und 9 des Bundesarchivgesetzes
entsprechend.
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2. ABSCHNITT
Kommunales und sonstiges öffentliches Archivgut
§ 7
Kommunales Archivgut
(1) Die Gemeinden und Landkreise verwahren,
erhalten und erschließen Unterlagen von bleibendem Wert im Sinne von § 2 Abs. 3 mit den
entsprechenden Amtsdrucksachen als Archivgut in eigenen Archiven; sie sollen das Archivgut
nutzbar machen. Dies gilt auch für Unterlagen, die gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 vom Archiv
des Landkreises übernommen worden sind.
(2) Die Gemeinden und Landkreise überprüfen alle Unterlagen, die sie zur
Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigen. Sind die überprüften Unterlagen von bleibendem
Wert, so sind sie in das Archiv zu übernehmen; anderenfalls sind sie zu vernichten, wenn
kein Grund zu der Annahme besteht, daß durch die Vernichtung schutzwürdige Belange des
Betroffenen beeinträchtigt werden. § 3 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 gelten entsprechend;
anstelle der Staatsarchive entscheiden die Gemeinden und Landkreise.
(3) Die Gemeinden und Landkreise erlassen eine Archivordnung als Satzung. In der Satzung
kann eine Verpflichtung zur Ablieferung von Belegexemplaren bestimmt werden; § 6 Abs. 7
gilt entsprechend. Beruht das Druckwerk oder nicht veröffentlichte Schriftwerk nur zum
Teil auf der Verwendung von Archivgut des kommunalen Archivs, kann bestimmt werden, daß
eine Vervielfältigung der entsprechenden Seiten dem kommunalen Archiv zu überlassen ist.
§§ 4, 5 und 6 Abs. 2 bis 5 und Abs. 6 Satz 1 und 2 sowie § 6 a Abs. 2 gelten
entsprechend. Über die Verlängerung oder Verkürzung von Sperrfristen (§ 6 Abs. 4, § 6
a Abs. 2) sowie über die Einschränkung oder Versagung der Nutzung (§ 6 Abs. 6 Satz 1
und 2, § 6 a Abs. 2) entscheiden die Gemeinden und Landkreise. Rechtsansprüche auf
Einsichtnahme, die sich aus kommunalrechtlichen Bestimmungen ergeben, bleiben unberührt.
(4) Absätze 1 bis 3 gelten für Gemeindeverwaltungsverbände, Zweckverbände,
Nachbarschaftsverbände und kommunale Stiftungen entsprechend.
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§ 8
Sonstiges öffentliches Archivgut
(1) Körperschaften, Anstalten und
Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen und über
kein eigenes Archiv verfügen, das archivfachlichen Ansprüchen genügt, haben Unterlagen,
die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigen, dem Staatsarchiv anzubieten.
Eine Anbietungspflicht gegenüber dem Staatsarchiv besteht nicht, wenn die Unterlagen
einer für Archivierungszwecke geschaffenen Gemeinschaftseinrichtung oder einem anderen
Archiv angeboten und übergeben werden, solange diese archivfachlichen Ansprüchen
genügen und die Einhaltung der in §§ 4 bis 6 getroffenen Bestimmungen gewährleistet
ist. Die Landesarchivdirektion stellt fest, ob ein Archiv archivfachlichen Ansprüchen im
Sinne von § 3 Abs. 3 genügt. Das Staatsarchiv kann das angebotene Archivgut übernehmen,
verwahren, erhalten, erschließen und allgemein nutzbar machen. Die übergebende Stelle
hat ein Rücknahmerecht für den Fall, daß sie selbst ein Archiv im Sinne des Satzes 1
einrichtet und unterhält. § 3 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 und Absätze 2 und 3 sowie § 6 Abs.
5 gelten entsprechend.
(2) Für die in Absatz 1 genannten Stellen, die eigene Archive unterhalten und für die
keine besonderen gesetzlichen Regelungen bestehen, gelten § 2 Abs. 2 und 3, § 3 Abs. 1
und 2, §§ 4, 5, 6 und 6 a Abs. 2 entsprechend. Über die Verlängerung oder Verkürzung
von Sperrfristen (§ 6 Abs. 4, § 6 a Abs. 2) sowie über die Einschränkung oder
Versagung der Nutzung (§ 6 Abs. 6 Satz 1 und 2, § 6 a Abs. 2) entscheidet der Träger
des Archivs; dieser erläßt auch die Benutzungsordnung (§ 6 Abs. 6 Satz 4).
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